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Alles ist möglich – auch mit CU.

Timo P.

CU-Patient seit 2 Jahren*

Eine 21-jährige Biostudentin teilte ihre Erfahrungen mit der Welt: welche Ängste, Schmerzen und Sorgen sie wegen ihrer Colitis ulcerosa erleben musste, aber auch, was ihr Kraft gab und neue Hoffnung.

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Mein Darm pfiff schon in der Orientierungswoche zum Aufstand. Also blieb ich zu Hause und verlor direkt in den ersten Tagen des Studiums den Anschluss...

CU-Patientin**

Hier die ganze Geschichte lesen

„... Es war mir nicht möglich, das Haus zu verlassen, geschweige denn 1,5 Stunden mit dem Bus zur Uni zu fahren. Ich hatte schlicht und ergreifend die Kontrolle über meinen Schließmuskel verloren. Wie erniedrigend. Meinem Körper schutzlos ausgeliefert. Gepriesen sind Online-Lernplattformen wie Moodle, denn so konnte ich wenigstens den Studienstoff bearbeiten … Auch privat musste ich Einschnitte machen, denn Treffen mussten immer öfter abgesagt werden und ich kam gar nicht mehr hinterher, mir Ausreden auszudenken.

 

Die Wahrheit sagte ich keinem. Es war zu peinlich. Niemand redet gerne darüber, was bei ihm so verdauungsmäßig geht. Als es in den Praktika in der Uni immer wieder zu unangenehmen Situationen kam, musste ich irgendwann mit meiner Krankheit rausrücken und mich den Fragen stellen. Meine Situation begann sich immer weiter zu verschlechtern. Die Medikamente zeigten keine Wirkung bzw. hauptsächlich Nebenwirkungen. Ich fing an, mich selbst und mein Leben zu hassen, entwickelte Angststörungen und Depressionen und war nicht mehr in der Lage zu studieren. Ich versuchte, alles zu verdrängen, bis es nicht mehr ging. Bis ich mitten in der Nacht einen Nervenzusammenbruch erlitt und mit Schmerzen und Suizidgedanken im dunklen Zimmer saß.

 

Das war der Wendepunkt.

 

Ich wollte und konnte so nicht mehr weitermachen. Ich brauchte Hilfe und vor allem Hilfe zur Selbsthilfe. Mein Leben musste entrümpelt werden. Alles, was mir nicht guttat, wurde entsorgt oder recycelt. Verhaltenstherapie wurde ein fester Bestandteil meines Alltags und neue Hobbys wurden zur gelungenen Ablenkung von Schmerzen und Ängsten. Es war ein harter Kampf, es ist ein harter Kampf, jeden Tag aufs Neue mit Bauchschmerzen aufzustehen und trotzdem weiterzumachen. Aber schlussendlich nahm ich mein Leben wieder in die Hand und überließ es nicht meinem Handicap. Nun dauerte es nicht lange, bis sich eine innere Zufriedenheit bei mir einstellte und ich wieder leben, am Alltag teilnehmen und vor allem zur Uni gehen konnte.

 

Klar, es ist nicht einfach, mit einer chronischen Krankheit zu studieren. Man wird ständig mit jungen, energievollen Menschen konfrontiert, die Party machen und ihr Leben in vollen Zügen genießen. Doch wenn man sich selbst (mit Krankheit!) akzeptiert und liebt, dann tun es auch andere. Mit den richtigen Menschen um einen herum entwickelt die Krankheit auf einmal eine positive Eigendynamik. Alles, was ich an mir hasste und eklig fand, all die Kämpfe mit mir selbst um mich selbst machten mich zu dem, was ich heute bin, und darauf bin ich ziemlich stolz. Denn ich weiß, was Schwäche ist, und kann deshalb stark sein. Ich weiß, wie sich Aufgeben anfühlt, und deshalb auch, wie man wieder aufsteht. Aber egal ob Krankheit oder Behinderung, jeder hat sein Päckchen zu tragen. Der eine offensichtlicher, der andere kaum bemerkbar.“

Kann ich weiterarbeiten wie früher?

Grundsätzlich ja. Denn in der schubfreien Zeit sind CU-Betroffene meist ähnlich belastbar wie gesunde Menschen. Während eines akuten Schubs sind oft keine schweren körperlichen Arbeiten möglich, Tätigkeiten am Schreibtisch möglicherweise schon. Allerdings kennt niemand deinen Körper so gut wie du selbst. Es ist daher wichtig, dass du Verantwortung für dich und deine Gesundheit übernimmst.

Natürlich macht es deine Arbeit erheblich leichter, wenn du von deinem Arbeitsplatz aus schnell eine Toilette erreichen kannst. Deshalb sind Berufe wie Chirurg:in, Kranführer:in, Briefträger:in oder Arbeit am Fließband weniger geeignet.

Wenn sich in den Büros deines Unternehmens keine akzeptable Lösung finden lässt, könnte vielleicht Homeoffice eine Hilfe sein. Wenn du deinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben kannst, ist eine Umschulung möglich. Sie wird entweder von der Agentur für Arbeit oder von der Deutschen Rentenversicherung gefördert, je nachdem, ob du von Arbeitslosigkeit bedroht bist, weil du deine aktuelle Tätigkeit nicht mehr ausüben kannst, oder ob du lange krank warst und wieder ins Arbeitsleben zurück möchtest. Es gibt viele Fördermöglichkeiten, auch Bafög für ein (Online-)Studium ist möglich. Beratung und Hilfe findest du bei der Agentur für Arbeit und persönliche Beratung hier:

 

  • Bürger:innentelefon des BMAS zum Thema Arbeitsmarktpolitik und -förderung:
    030 221 911 003
  • Servicetelefon der Bundesagentur für Arbeit für Arbeitnehmer:innen:
    0800 4 5555 00

Manchmal kann es auch hilfreich sein, die Arbeitsstelle zu wechseln, wenn die Arbeitslast und der Druck am Arbeitsplatz zu groß sind. Aber auch Teilzeit kann eine Option für dich sein.

 

 

Fazit: Auf jeden Fall kannst du auch mit einer chronischen Erkrankung davon profitieren, wenn du weiterhin am Berufsleben teilnimmst. Du hältst u. a. den Kontakt zu guten Kolleg:innen, deine Arbeit verschafft dir Anerkennung und du hast Erfolgserlebnisse. Sollte dich die Erkrankung jedoch stärker einschränken, kannst du einen Grad der Behinderung feststellen lassen (GdB), um staatliche Fördermöglichkeiten am Arbeitsplatz in Anspruch zu nehmen.

Welchen GdB (Grad der Behinderung) du haben könntest, erfährst du hier.

Soll ich meine:n Chef:in und Kolleg:innen informieren?

Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Natürlich ist es eine große Herausforderung, eine chronische Krankheit bei Vorgesetzten offen anzusprechen. In den meisten Fällen kannst du mit Verständnis rechnen und gemeinsam mit ihnen praktikable Lösungen finden – zum Beispiel deine Arbeitszeiten flexibler gestalten. Es gibt aber leider auch CU-Betroffene, die aufgrund ihrer Krankheit ausgegrenzt und bemitleidet werden.

Wie aufgeschlossen und verständnisvoll dein berufliches Umfeld ist, kannst aber nur du beurteilen. Hauptsache, du setzt dich mit dieser Frage auseinander. Tust du es nicht, wird sie zu einer dauerhaften Belastung. Mach dir auf jeden Fall bewusst: Nur wenn dein:e Chef:in über deine Erkrankung Bescheid weiß, kann sie oder er häufige Praxisbesuche oder Toilettengänge und Veränderungen in deinen gewohnten Arbeitsergebnissen nachvollziehen.

 

Frag deinen Betriebsarzt oder deine Betriebsärztin.

Wenn du in einem größeren Unternehmen arbeitest, kann vor dem Gespräch mit Vorgesetzten zuerst ein Austausch mit der Betriebsärztin oder dem Betriebsarzt sinnvoll sein. Sie oder er kennt deine Arbeitsbedingungen und kann gut beurteilen, welche Folgen CU auf deine Arbeit haben könnte. Und wie sich dein Arbeitsplatz an deine neuen Bedürfnisse anpassen lässt. Außerdem gilt für sie oder ihn – wie für alle Ärzt:innen – die gesetzliche Schweigepflicht.

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Nutze weitere Angebote im Unternehmen:

Du bist dir nicht sicher, ob und wie du deine chronische Erkrankung im Unternehmen ansprichst? In größeren Unternehmen gibt es manchmal die Möglichkeit, sich anonym telefonisch beraten zu lassen. Vielleicht gibt es diese Unterstützung in deinem Unternehmen. Eine kleine Recherche lohnt sich in jedem Fall.

Rein rechtlich: Wem muss ich Bescheid geben?

Müssen musst du gar nichts. Gesundheit ist Privatsache. Darum bist du nicht verpflichtet, jemanden in deinem Betrieb über deine Erkrankung zu informieren. Dies gilt im Übrigen auch dann, wenn du länger andauernde Krankmeldungen einreichst.  Aber wie bei jeder Regel gibt es auch hier eine Ausnahme: wenn du wegen der CU und deren Symptomen andere Menschen in Gefahr bringen könntest. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn du Pilot:in bist. Dann musst du deine:n Chef:in sofort über relevante gesundheitliche Einschränkungen informieren – allerdings nicht explizit über die Diagnose CU.

Ich will studieren oder eine Ausbildung beginnen.

Du stehst noch am Anfang deines Berufslebens? Dann sprich am besten in einer Berufsberatung über deine Wünsche, um realistische Berufswege und Praktika zum Ausprobieren zu finden. Bafög und andere finanzielle Förderungen kannst du auch bei der Agentur für Arbeit beantragen. Fernunis und andere private Einrichtungen bieten Online-Studiengänge an, wenn du nicht jeden Tag einen weiten Weg zur Uni fahren kannst.

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Du könntest etwas Orientierung gebrauchen?

Die gemeinnützige Stiftung "aktion luftsprung" unterstützt dich bei deinem Einstieg in Beruf und Ausbildung. Mentor:innen helfen dir dabei, deine besonderen Fähigkeiten herauszufinden und Bewerbungen zu schreiben. Du bist besonders talentiert und jünger als 35? Dann stellt dir die Stiftung vielleicht ein Stipendium zur Verfügung, das dich während der Ausbildung oder des Studiums finanziell unterstützt. Die Palette an unterstützten Bereichen ist breit gefächert: Kunst, Musik, Mathematik und Naturwissenschaften, Geistes- und Sozialwissenschaften, Jura, Medizin, Wirtschaft, Handwerk, Sport und viele mehr. Direkt zur Stiftung aktion luftsprung.

Nachteile beim Studium? Gleiche ich aus.

Wenn du deine CU mit einem Studium unter einen Hut bringen willst, ist das Hochschulrahmengesetz deine beste Unterstützung. Darin steht: „Hochschulen müssen dafür sorgen, dass behinderte Studierende in ihrem Studium nicht benachteiligt werden“ (§ 2 Abs. 4 HRG). Damit hast du Anspruch auf einen sogenannten Nachteilsausgleich im Studium und in den Prüfungen. So gleichst du deine CU-Nachteile aus:

  1. Du stellst den Antrag bei deiner Universität mit einem ärztlichen Attest und benennst darin die Art deiner Einschränkungen.
  2. Wenn dein Antrag bewilligt wird, enthält er deine individuellen Nachteilsausgleiche.
  3. Du verweist im Gespräch mit Dozent:innen auf deinen Nachteilsausgleich.
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Du willst mehr zum Nachteilsausgleich wissen?

Informiere dich am besten rechtzeitig bei deiner Uni, wo und wann du die Anträge einreichen kannst. Weil das nicht immer so einfach geht, wie es klingt, gibt es zum Beispiel bei der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung e. V. (DCCV) den Arbeitskreis studiCED. Ehrenamtliche Mitglieder helfen dir dabei, deinen Anspruch gegenüber uneinsichtigen Dozent:innen durchzusetzen. Fragen an studiCED schickst du einfach an beratung@studiced.de.

Welche Nachteilsausgleiche gibt es?

Da deine Einschränkungen individuell sind, sind auch die Nachteilsausgleiche individuell. Das hier sind also nur Beispiele:

  • Befreiung von der Anwesenheitspflicht
  • Spätere Abgabe von Hausarbeiten
  • Klausuren eine Stunde länger schreiben
  • Eigenes Arbeitszimmer beim Schreiben von Klausuren
  • Befreiung von Studiengebühren
  • Verlängerung der Bafög-Förderhöchstdauer um drei Semester

 

* Foto mit Model gestellt. Aussage fiktiv.

** Name unbekannt. Quelle: https://studiblog.net/darm-krank-handicap/