„... Es war mir nicht möglich, das Haus zu verlassen, geschweige denn 1,5 Stunden mit dem Bus zur Uni zu fahren. Ich hatte schlicht und ergreifend die Kontrolle über meinen Schließmuskel verloren. Wie erniedrigend. Meinem Körper schutzlos ausgeliefert. Gepriesen sind Online-Lernplattformen wie Moodle, denn so konnte ich wenigstens den Studienstoff bearbeiten … Auch privat musste ich Einschnitte machen, denn Treffen mussten immer öfter abgesagt werden und ich kam gar nicht mehr hinterher, mir Ausreden auszudenken.
Die Wahrheit sagte ich keinem. Es war zu peinlich. Niemand redet gerne darüber, was bei ihm so verdauungsmäßig geht. Als es in den Praktika in der Uni immer wieder zu unangenehmen Situationen kam, musste ich irgendwann mit meiner Krankheit rausrücken und mich den Fragen stellen. Meine Situation begann sich immer weiter zu verschlechtern. Die Medikamente zeigten keine Wirkung bzw. hauptsächlich Nebenwirkungen. Ich fing an, mich selbst und mein Leben zu hassen, entwickelte Angststörungen und Depressionen und war nicht mehr in der Lage zu studieren. Ich versuchte, alles zu verdrängen, bis es nicht mehr ging. Bis ich mitten in der Nacht einen Nervenzusammenbruch erlitt und mit Schmerzen und Suizidgedanken im dunklen Zimmer saß.
Das war der Wendepunkt.
Ich wollte und konnte so nicht mehr weitermachen. Ich brauchte Hilfe und vor allem Hilfe zur Selbsthilfe. Mein Leben musste entrümpelt werden. Alles, was mir nicht guttat, wurde entsorgt oder recycelt. Verhaltenstherapie wurde ein fester Bestandteil meines Alltags und neue Hobbys wurden zur gelungenen Ablenkung von Schmerzen und Ängsten. Es war ein harter Kampf, es ist ein harter Kampf, jeden Tag aufs Neue mit Bauchschmerzen aufzustehen und trotzdem weiterzumachen. Aber schlussendlich nahm ich mein Leben wieder in die Hand und überließ es nicht meinem Handicap. Nun dauerte es nicht lange, bis sich eine innere Zufriedenheit bei mir einstellte und ich wieder leben, am Alltag teilnehmen und vor allem zur Uni gehen konnte.
Klar, es ist nicht einfach, mit einer chronischen Krankheit zu studieren. Man wird ständig mit jungen, energievollen Menschen konfrontiert, die Party machen und ihr Leben in vollen Zügen genießen. Doch wenn man sich selbst (mit Krankheit!) akzeptiert und liebt, dann tun es auch andere. Mit den richtigen Menschen um einen herum entwickelt die Krankheit auf einmal eine positive Eigendynamik. Alles, was ich an mir hasste und eklig fand, all die Kämpfe mit mir selbst um mich selbst machten mich zu dem, was ich heute bin, und darauf bin ich ziemlich stolz. Denn ich weiß, was Schwäche ist, und kann deshalb stark sein. Ich weiß, wie sich Aufgeben anfühlt, und deshalb auch, wie man wieder aufsteht. Aber egal ob Krankheit oder Behinderung, jeder hat sein Päckchen zu tragen. Der eine offensichtlicher, der andere kaum bemerkbar.“